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 Zur Geschichte von Libau / Kurland bis 1914 (Seite 8)

  Zur Sozialgeschichte Libaus - Teil 2

Versteht man unter “Stand” eine rechtlich und sozial abgeschlossene Gruppe mit einer eigenen, traditionell orientierten Subkultur, einem eigenen “Lebensstil” (Max Weber ) >1<, so traf das in gewissem Maße für die Libauer Kaufmannschaft zu.

In ihrer “Beschreibung der Provinz Kurland” charakterisierten von Derschau und von Keyserling 1805 die Libauer Kaufleute als sehr konservativ. Deren Lebensart sei durch “steife Anhänglichkeiten an ihren Gebräuchen” gekennzeichnet gewesen. Beispielsweise hätte sich bei ihnen lange die platt- deutsche Mundart erhalten. Die Libauer Kaufmannsgesellschaft bestünde aus Familienzirkeln, die Fremden mit Ausnahme einiger durchreisender Kaufleute verschlossen blieben. >2<

Der kurländische Landesbeamte Ulrich von Schlippenbach schrieb in seinen “Malerischen Wanderungen durch Kurland” Anfang des 19. Jahrhunderts, daß der Libauer Kaufmann “größtentheils eben so redlich als vorsichtig im Handel ist”. >3<

Den in Libau üblichen Tauschhandel mit den Litauern schilderte von Schlippenbach so: “Wenn ein litthauischer Kommissionär - so heißen dort die Ökonomen der Güter - oder auch zuweilen der Gutsbesitzer selbst zur Stadt kommt, so kehrt er mit allen seinen Leuten, und manchmal auch wohl von seiner Familie begleitet, bey demjenigen Kaufmann, mit dem er gewöhnlich Geschäfte macht, ein; mehrere Tage pflegt er dann im Hause seines Freundes zu verweilen, ohne sich etwas an Speise und Trank abgehen zu lassen. Dafür ist er denn seiner Seits wieder so gefällig, die Preise der mitgebrachten Landesprodukte und Waaren, die er gewöhnlich dafür entgegen nimmt, von seinem Handelsfreunde selbst bestimmen zu lassen; beyde scheiden dann immer sehr zufrieden von einander. Ich erinnere mich eines dicken litthauischen Bojaren, mit einem silberweißen Stutzbart und reichem polnischen Gewand, der in gebrochenem Lettisch die Verdienste seines Handelsmanns erhob, und dabey versicherte: er habe nichts weiter zu thun, als seinen Flachs und sein Getreide aufzuladen und zur Stadt zu führen, alles andere besorge sein Freund, den er einen ´Wundermann `nannte, indem er zugleich die vortrefflichen Weine seines Wirthes rühmte, die in ihrer Fülle noch auf seinem Gesichte glühten.” >4<

Nach den Steuerlisten von 1797 gehörten von den Einwohnern Libaus, und zwar einschließlich aller Familienmitglieder:
     zum “Kaufmannsstand deutscher Nation” 19%,
     zu den “Gewerkern deutscher Nation” .... 21%,
     und zu den “freien deutschen Leuten”  .... 32% . >5<

Hieraus wird deutlich, daß ein großer Teil der in Libau ansässigen Deutschen weder dem priviligierten Kaufmannsstand noch der zunftmäßig abgeschlossenen Handwerkerschaft angehörte, sondern wahrscheinlich in mehr oder weniger untergeordneter Stellung lebte.

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>1<  Lexikon der Soziologie, 2. Aufl., Opladen 1978, S. 739 f.

>2<  Peter Ernst von Keyserling und Ernst Gotthard von Derschau, Beschreibung der Provinz
         Kurland, Mitau 1805, S. 244 f.

>3<  Ulrich Freiherr von Schlippenbach, Malerische Wanderungen durch Kurland, Riga und                    Leipzig  1809 (Ndr. 1973), S. 85.

>4<  Ebd., S. 85 f.

>5<  Arthur Hoheisel, Die Bevölkerung Kurlands im Jahre 1797. In: Zeitschrift für Ostforschung,
         31. Jg. (1982), S. 551 ff. (Tab. II).

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